Rede zum Jubiläum der Partnerschaft Rheinland-Pfalz / Ruanda
Aktualisiert: 31. Juli 2022
Staatskanzlei Mainz
25. Juni 2022
Mit Ministerpräsidentin Mulu Dreyer
Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin Malu Dreyer,
sehr geehrte ehemalige Ministerpräsidenten Dr. Bernhard Vogel und Kurt Beck,
sehr geehrter Herr Botschafter Cesar,
sehr geehrte Damen und Herren und alle Anwesenden, die sich um die Partnerschaft zwischen Rheinland-Pfalz und Ruanda verdient gemacht haben!
Es ist mir eine große Ehre, diese Festrede halten zu dürfen, und ich bedanke mich sehr herzlich für die Einladung durch die Ministerpräsidentin.
Als ich vor dreißig Jahren zum ersten Mal nach Ruanda kam, war die Partnerschaft schon da, und die meisten Ruanderinnen und Ruander, die ich damals interviewte, wussten nur Positives über diese außergewöhnliche Zusammenarbeit zu berichten. Und heute ist die Partnerschaft immer noch da!
Das ist schon für sich genommen eine bemerkenswerte Leistung. Denn ich habe in meinen vier Jahrzehnten als Aktivist und später als Korrespondent in Afrika viele Hilfsorganisationen kommen und gehen sehen. Viele sind gescheitert und haben sogenannte „weiße Elefanten“ hinterlassen. So nennt man Großprojekte, die viel Geld verschlungen haben und nutzlos in der Projektlandschaft herumstehen.
Man muss lange suchen, um entwicklungspolitische Initiativen zu finden, die so lange und kontinuierlich im Einsatz waren wie die Partnerschaft zwischen Rheinland-Pfalz und Ruanda. Ich kenne auch keine, die so viele einzelne Projekte verwirklicht hat: 2.200 seit 1982. Das ist eine stolze Bilanz, chapeau.
Und weil ich schon beim Loben bin: Die Jumelage nennt sich zurecht eine Graswurzelpartnerschaft, denn ihre Arbeit läuft überwiegend unter der Ebene der bilateralen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit. Es ist eine Partnerschaft, die zwischen Landkreisen, Städten und Gemeinden stattfindet, zwischen Schulen und Hochschulen, Krankenhäusern, Kirchengemeinden und Vereinen, zwischen ruandischen und deutschen Bürgern und Bürgerinnen. Sie geht nicht paternalistisch vor, also schulmeisterlich von oben herab, sondern partizipatorisch, gleichberechtigt, auf Augenhöhe.
Kurzum: Diese Kooperation steht wie ein Leuchtturm in der entwicklungspolitischen Landschaft. Ich sage das als jemand, der der Entwicklungshilfe mit großer Skepsis begegnet, denn oft ist sie vor allem eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für westliche Experten. Genaue Statistiken sind nicht bekannt, aber die Zahl der Mitarbeiter der internationalen Hilfsindustrie wird auf über 500.000 geschätzt. Häufig spielt es eine untergeordnete Rolle, ob ihre Projekte sinnvoll und nachhaltig sind, Hauptsache der Mittelabfluss ist gewährleistet.
Sicherlich hat nicht jedes Projekt der Jumelage so perfekt funktioniert, wie es sich die Beteiligten gewünscht haben. Aber unter dem Strich lässt sich mit Fug und Recht behaupten, dass die Partnerschaft einen sichtbaren Beitrag zur Entwicklung Ruandas geleistet hat.
Er war ein steiniger Weg, denn dieses kleine Land im Zentrum Afrikas hinter sich hat. Es war der Weg, der aus der Katastrophe des Jahres 1994 herausführte und dessen Erfolg in einem schwer traumatisierten Land niemand für möglich gehalten hatte.
Wenn ich an dieses grauenhafte Jahr 1994 zurückdenke, plagen mich bis heute Schuldgefühle. Denn die gesamte internationale Presse war damals, im April 1994, in Südafrika versammelt, um über den Untergang der Apartheid und die ersten demokratischen Wahlen in der Geschichte des Landes zu berichten. Das Ende der weißen Rassistenregimes war gekommen, in Südafrika sollte ein Traum Afrikas wahr werden.
Das war die Nachricht, die Geschichte jener Tage. Und keiner ahnte das Ausmaß des Alptraums, der sich zeitgleich im Zentrum des Kontinents ereignete. Auch ich nicht. Auch ich schrieb damals, aus der Ferne, einen oberflächlichen Kommentar, für den ich mich bis heute schäme.
Im Herzen des Kontinents geschah das furchtbarste Verbrechen in der postkolonialen Geschichte Afrikas: ein Völkermord, wie in die Welt seit den Killing Fields in Kambodscha und dem Holocaust nicht mehr gesehen hatte.
Und die ganze Welt hat Ruanda alleingelassen. Der Westen, die Politiker in Washington, London, Paris und Bonn, die Diplomaten, die Vereinten Nationen, die Kirchen, alle sahen tatenlos zu. Und auch wir, die Afrika-Korrespondenten, schenkten der Tragödie kam Beachtung. Wir feierten im April 1994 den Triumph Nelson Mandelas, des ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas.
Am zwanzigsten Jahrestag des Völkermordes fragte mich in der Gedenkstätte Murambi, wo eines der furchtbarsten Massaker geschah, ein Überlebender: Warum bist du jetzt da? Warum habt ihr uns damals nicht geholfen? Ich hatte keine Antwort.
Wenn wir uns heute darüber wundern, warum afrikanische Staaten den verbrecherischen Aggressionskrieg Russlands in der Ukraine nicht einhellig verurteilen und sich nicht an den Sanktionen beteiligen, sondern neutral bleiben, dann hat das auch mit dieser unterlassenen Hilfeleistung zu tun. Und mit unserer Gleichgültigkeit diesem Kontinent gegenüber, den wir immer nur dann wahrnehmen, wenn eine vermeintliche Bedrohung von ihm ausgeht. Wenn etwa befürchtet wird, dass zu viele Migranten und Flüchtlinge zu uns kommen könnten.
In diesem Zusammenhang halte ich es für einen humanitären Skandal, dass die britische Regierung Asylbewerber und Flüchtlinge in Lager nach Ruanda deportieren will – und dass die ruandische Regierung bei diesem schändlichen Geschäft mit der Not mitmacht.
Jetzt, nach dem Ausbruch eines Vernichtungskriegs in Europa nach langen Jahren des Friedens, erwarten wir die Solidarität Afrikas. Doch in diesen Tagen höre ich von Afrikanerinnen und Afrikanern immer wieder, dass sich in Europa auch niemand große Sorgen macht über die Konflikte auf ihrem Kontinent, zum Beispiel über den verheerenden Bürgerkrieg, der gerade in Äthiopien tobt.
Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal auf das Jahr 1994 zurückkommen. Wie groß muss damals das Entsetzen der Mitarbeiter der Partnerschaft zwischen Ruanda und Rheinland-Pfalz gewesen sein, die zu Augenzeugen der Schlächtereien wurden. Die schockiert feststellen mussten, wie ruandische Mitarbeiter und Freunde über Nacht zu grausamen Tätern wurden. Oder zu unschuldigen Opfern. Es war ein Mordexzess, der unser Menschenbild erschütterte. Wir Deutschen kennen diese Form der Barbarei aus unserer eigenen Geschichte.
Umso verdienstvoller war es, dass die Partner aus Rheinland-Pfalz als eine der ersten ausländischen Organisationen ihre Arbeit wieder aufnahmen und, wie mir gesagt wurde, schon im Juli 1994 nach Ruanda zurückkehrten.
Ich hörte allerdings auch skeptische Stimmen, als ich im gleichen Monat über die Massenflucht der génocidaires, der Massenmörder, berichtete. Überlebende kritisierten die allzu große Nähe mancher Partner aus Rheinland-Pfalz zum autoritären und höchst umstrittenen Regime von Präsident Juvénal Habyarimana.
Das ist eine der Lehren, die wir aus dieser Katastrophe ziehen müssen: Kein Helfer, keine Helferin, und seien die Motive noch so wohlmeinend, sollte sich von der herrschenden Politik im jeweiligen Partnerland blenden oder gar vereinnahmen lassen. Wir dürfen nicht schweigen, wenn universelle Werte missachtet werden, denn sie bilden die Grundlage unseres humanitären Engagements.
Und so muss sich auch Ruandas Regierung an den Verträgen messen lassen, die sie unterzeichnet hat. Wir dürfen bei allen wirtschaftlichen Erfolgen, die das Land unter Präsident Paul Kagame erzielt hat, die weniger erfreulichen Entwicklungen nicht ignorieren.
Ich rede von den Defiziten, die man in den Jahresberichten vom Amnesty International nachlesen kann: In den Bereichen Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit steht es nicht zum Besten, und auch in puncto Schutz der Menschenrechte gibt es enormen Nachholbedarf.
Gerade an einem Festtag wie heute müssen diese Defizite erwähnt werden. Weil Ruanda zu einem Modell für Afrika geworden, zu einem Vorreiter, der beweist, wie sich ein afrikanisches Land mit eigenen Anstrengungen und gezielter Unterstützung von außen entwickeln kann. Und weil wir uns alle wünschen, dass Ruanda auch zu einem politischen Vorbild für den Kontinent wird, auf dem es vielerorts schlecht bestellt ist um Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte.
„Demokratie ist die schlechteste aller Staatformen, ausgenommen alle anderen“, hat Winston Churchill einmal gesagt. So ist es: Wir haben noch keine bessere Staatsform gefunden. Deshalb müssen wir trotz aller Mängel die Prinzipien der Demokratie verteidigen, vor allem gegenüber alternativen Modellen wie der chinesischen Entwicklungsdiktatur, die zwar Wohlstand anstrebt, aber den Menschen die Freiheit raubt.
Erlauben Sie mir zum Schluss noch eine Anmerkung: Jede unserer Initiativen, die dem Kampf gegen die Armut und der Verbesserung der Lebensverhältnisse dient, ist aller Ehren wert. Aber wir sollten darüber nicht vergessen, dass sie nur Tropfen auf den heißen Stein sind und die strukturelle Ungleichheit nicht überwinden können.
Denn die Probleme unseres Nachbarkontinents, des globalen Südens überhaupt, werden nach wie vor durch die geopolitischen und weltökonomischen
Machtverhältnisse bestimmt, die in der Kolonialzeit begründet wurden.
Die Europäische Union exportiert zum Beispiel ihre Agrarüberschüsse zu Dumpingpreisen nach Afrika – zum Schaden der afrikanischen Bäuerinnen und Bauern, die gegen die Billigware nicht konkurrieren können und ihre Einkommensquellen verlieren. So zerstört die EU durch ihre Handelspolitik, was sie entwicklungspolitisch mühsam aufgebaut hat.
Ein anderes Exempel liefert der Energiesektor. Die 1.3 Milliarden Einwohner Afrikas verbrauchen ungefähr so viel Strom wie Deutschland mit 83 Millionen Einwohnern. Gleichzeitig leiden die Afrikanerinnen und Afrikaner am stärksten unter den Folgen des Klimawandels, obwohl sie am wenigsten zu dessen Ursachen beitragen.
Millionen Menschen in Afrika bekommen derzeit auch die Folgen des Ukraine-Kriegs zu spüren. Denn einige afrikanische Länder sind von Nahrungsmittelimporten abhängig. Weil die Getreidelieferungen aus der Ukraine ausfallen, drohen Brotaufstände wie wir sie im Arabischen Frühling erlebt haben. Die Dürreregionen Ostafrikas stehen schon jetzt vor einer Hungernot.
Man könnte noch jede Menge Beispiele für das wachsende Wohlstandsgefälle zwischen dem armen Süden und dem reichen Norden aufzählen. Sie machen uns bewusst, dass die großen politischen und wirtschaftlichen Weichen umgestellt werden müssen, um die globale Ungleichheit zu verringern und vor allem unseren bevölkerungsreichen Nachbarkontinent auf dem Weg in eine bessere Zukunft zu unterstützen.
Ruanda zeigt, wie dieser Weg verlaufen könnte. Wie man sich aus der Misere herausarbeiten kann. Es zeigt uns, welche Selbsthilfekräfte, welche Kreativität ein kleines Land entfalten kann. Und die Partner aus Rheinland-Pfalz leisten dabei willkommene Hilfe zur Selbsthilfe.
Ich habe einige Erfahrungsberichte von Mitwirkenden gelesen, von Bürgern und Bürgerinnen aus Rheinland-Pfalz, die mit großem Engagement Projekte der Partnerschaft realisierten. Und deren Blick auf Afrika sich dabei veränderte. Afrika wurde nicht mehr als schicksalsergebener, immerzu leidender oder gar verlorener Kontinent gesehen, sondern als Kontinent im Aufbruch, den Partnerschaften wie die zwischen Ruanda und Rheinland-Pfalz beflügeln.
In diesem Sinne wünsche ich der Jumelage weiterhin gutes Gelingen und noch viele erfolgreiche Jahre einer vorbildlichen Zusammenarbeit. Im besten Fall 40 Jahre. Dann gehen wir nämlich jetzt in die Halbzeitpause.
Comentários